Fünf Fragen an ... Karsten Werner
Diplom-Ingenieur Karsten Werner vom Maritimen Zentrum der Hochschule Flensburg stellt konkrete Forschungsvorhaben zur autonomen Schifffahrt vor und erläutert, welche Rolle die Psychologie spielt. Im Interview mit dem Maritimen Cluster Nordddeutschland (MCN) nennt er zudem Gründe, warum er jungen Menschen heute eine Nautik- oder Schiffstechnik-Ausbildung empfiehlt.
MCN: Herr Werner, die autonome Schifffahrt ist einer der Forschungsschwerpunkte des Maritimen Zentrums der Hochschule Flensburg. Woran arbeiten Sie konkret? Und wie könnte die autonome Schifffahrt in Zukunft aussehen?
Werner: Ein ganz konkretes Forschungsvorhaben ist die Automatisierung spezieller Manöver im Offshore-Bereich. Es geht dabei um die Crew Transfer Vessels, die Mechaniker und anderes Personal zu den Windmühlen auf See bringen. Diese CTV sind recht kleine Schiffe und haben meistens nur eine Besatzung von zwei oder drei Leuten. Diese werden im Moment des Anlegens eigentlich gebraucht, um die Mechaniker und ihr Werkzeug beim Übersteigen zu sichern. Deshalb arbeiten wir daran, dass wir dieses Anlegemanöver automatisieren. Kern des laufenden Projekts bildet die Entwicklung eines, auf hydrodynamischen Modellen basierenden, modellprädiktiven Reglers für ein solches Assistenzsystem. Wir arbeiten daran, die Entwicklung des Reglers bis zu einer Erprobung in der virtuellen Welt unseres Schiffsführungssimulators voran zu treiben.
Dass Schiffe komplett autonom fahren, ist heute technisch schon möglich. In der Praxis beschränkt sich das bisher auf kleinere Schiffe, die in übersichtlichen Revieren operieren. Wir sehen die Zukunft auch nicht darin, das große Schiffe komplett autonom unterwegs sein werden. Für diese brauchen Sie immer Menschen, die im Notfall eingreifen können oder auf langen Strecken das Schiff warten und reparieren. In engen Revieren, wie auf unseren Ostseeförden oder in der Elbmündung, wo neben dem regulären Verkehr vielleicht noch Paddleboarder oder sogar Schwimmer unterwegs sind, reicht auch die automatisierte Objekterkennung noch nicht aus. Wir sind heute bei einer Identifikationsrate von 95 Prozent. Wir brauchen aber 100 Prozent. Das geht es also nicht ohne Menschen auf der Brücke.
Wir sind aber davon überzeugt, dass bestimmte Situationen automatisierbar oder von Land aus kontrollierbar sind. Wenn ein Schiff über den Atlantik fährt, könnte ich während des langen Transfers den Kapitän vom Schiff holen und dieses von Land aus steuern und überwachen. Das ist technisch möglich und wäre auch sicher, denn dank einer Vielzahl von Satelliten ist heute eine zuverlässige Kommunikation mit Schiffen auf hoher See gewährleistet.
MCN: Die technische Machbarkeit ist das eine. Aber sind die Menschen auch bereit, einem autonom fahrenden Schiff zu vertrauen?
Werner: Das ist eine sehr spannende und noch wenig beachtete Fragestellung. Wir haben auch dazu gerade ein Forschungsvorhaben gestartet. Wir wollen herausfinden, wie Schiffs-Passagiere in kritischen Situationen reagieren, wenn kein Mensch mehr da ist, um einzugreifen. Vertrauen sie der Maschine? Um das herauszufinden, nutzen wir ebenfalls unsere nautischen und schiffstechnischen Simulatoren, die zu den realistischsten weltweit gehören. Wir laden dazu als Probanden ganz normale Leute ein. Wir simulieren für sie eine Fahrt mit einer kleinen Flussfähre. Anfangs ist noch ein Schiffsführer auf der Brücke, der in kritischen Situationen eingreift. An einem Punkt nehmen wir den Kapitän dann raus und sagen den Probanden, dass die Fähre ab sofort autonom fährt. Wir eskalieren die Situation, lassen beispielsweise ein großes Frachtschiff auf die Fähre zufahren. Wie nervös reagieren die Menschen an Bord darauf, wie können sie Hilfe rufen? Das wollen wir herausfinden. Dazu messen wir unter anderem die Herzfrequenz und die Hautfeuchtigkeit als Stressparameter der Passagiere. Wir sind sehr gespannt auf die Ergebnisse! Wir nutzen dieses Forschungsvorhaben übrigens auch, um ein bisschen für uns zu werben. Die Probanden rekrutieren wir aus unserer Hochschulöffentlichkeit. So bekommen die Einblicke aus erster Hand in das, was wir hier tun.
MCN: Umworben sein, das wollen heute auch die jungen Menschen, die ein Hochschulstudium aufnehmen. Gerade in den eher technisch ausgerichteten Studiengängen fehlt es aktuell an Nachwuchs. Trifft Sie das auch? Und können Sie jungen Menschen eine nautische Karriere überhaupt empfehlen?
Werne: Ja, das betrifft uns als MINT-Bereich auch. Es fehlen leider oft die Begeisterung und auch die Vorkenntnisse, die für ein technisches Studium Voraussetzung sind. Ich halte es für einen großen Fehler, dass Fächer wie Mathematik, Physik oder Chemie so vernachlässigt werden und in der Schule oft abgewählt werden können. Davon abgesehen halte ich eine Karriere als Nautiker oder Schiffstechniker für äußerst attraktiv. Na klar, unsere Absolventen werden hinterher zur See fahren, und das bedeutet für längere Zeiträume eine Trennung von Freunden und Familien. Aber das gilt nur für eine begrenzte Zeit. Typischerweise fährt ein Nautiker heute zwölf, maximal 15 Jahre zur See. Wenn er dann an Land geht, ist er immer noch jung genug, um eine Familie zu gründen. Und er hat bereits einige Jahre sehr gut verdient und wahrscheinlich ein ordentliches finanzielles Polster aufgebaut. Mit ihren technischen Kenntnissen, ihrer Erfahrung und dem frühen Übernehmen von Verantwortung sind diese Leute auf dem Arbeitsmarkt an Land sehr begehrt und können beispielsweise in Reedereien, Klassifikationsgesellschaften, Werften, Flaggenstaatsbehörden oder Werften rasch Karriere machen. Abgesehen davon kann auch die Zeit auf See eine sehr schöne und einmalige sein. Also: klare Empfehlung!
MCN: Was unternehmen Sie als Hochschule, um junge Menschen für ein nautisches oder schifffahrtstechnisches Studium zu begeistern?
Werner: Leider viel zu wenig. An den (ehemaligen) Fachhochschulen fehlen ausreichende Ressourcen dafür. Die Landespolitik und die Hochschulpräsidien erwarten zwar die externe Vernetzung, Messeauftritte, ein aktives Werben um Studenten und vieles mehr. Der wissenschaftliche Mittelbau, der das leisten soll, ist aber gar nicht in ausreichendem Maße vorhanden. Wissenschaftliche Mitarbeiter sind oft nur befristet und mit Kettenverträgen für bestimmte Projekte angestellt. Und die Professoren sind mit der Lehre weitgehend ausgelastet. Wenn die Politik das also will, muss sie die Hochschulen auch entsprechend ausstatten. Insofern sind wir froh, wenn uns Institutionen wie das Maritime Cluster Norddeutschland an dieser Stelle unterstützen.
MCN: Welchen konkreten Wert hat für Sie das Mitwirken im Maritimen Cluster Norddeutschland?
Werner: Das Maritime Cluster Norddeutschland ist für Hochschulen wie unsere vor allem ein Türöffner. Wir bekommen Zugänge zu Netzwerken und Forschungsvorhaben, die wir sonst nicht hätten. Außerdem profitieren wir sehr stark von der einzigartigen Expertise der Clusters in Hinblick auf die deutsche und internationale Förderlandschaft. Wenn irgendwo neue maritime Förderprogramme aufgelegt werden, wissen die Experten des Maritimen Clusters Norddeutschland sehr früh davon und weisen uns darauf hin. Für mich als Forschungs- und Projektscout meiner Hochschule ist das natürlich sehr wertvoll, denn als Einzelkämpfer hat man diesen Überblick oft nicht.
Ein Beispiel, wo wir konkret profitiert haben, ist das Ecoship60-Netzwerk, zu dem das Cluster uns eingeladen hatte. In dem Projekt ging es darum, wie man kleine Schiffe bis 60 Meter mit innovativen Antrieben ausrüsten kann. Ecoship60 war ursprünglich ein ZIM-Netzwerk. Die Zusammenarbeit war aber so gut und erfolgreich, dass die Projektpartner das auch nach Auslaufen der Förderung weiter fortgesetzt haben. Für alle Beteiligten war klar: Wir machen weiter! Ein anderes, sehr erfolgreiches Förderprojekt, das ohne das Maritime Cluster Norddeutschland nicht zustande gekommen wäre, war NotKom. Dabei ging es um die Notfallkommunikation in Windparks auf See. Zu dem Zeitpunkt war das für alle Beteiligten weitgehend Neuland. Mittlerweile haben wir da einen guten Plan. Speziell für uns in Flensburg ist noch sehr hilfreich, dass das Maritime Cluster Norddeutschland auch unsere jährlich im Frühsommer stattfindende Informationstagung zur Schiffsbetriebsforschung (ISF-Tagung) unterstützt und die Veranstaltung auch selbst nutzt, um Leute zusammenzubringen. Auch mit seiner Öffentlichkeitsarbeit hilft uns das Cluster, auf uns und unsere Themen aufmerksam zu machen.
Über Karsten Werner
Dipl.-Ing. Karsten Werner (61) ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Maritimen Zentrum der Hochschule Flensburg und dort als Forschungs- und Projektscout tätig. Der studierte Elektrotechniker war zuvor u. a. als Softwarenentwickler in der maritimen Industrie sowie als Dozent für Informatik und Experte für die Planung und Antragstellung von F&E-Projekten an der Hochschule Flensburg tätig. Noch vor seinem Studium diente Werner zwölf Jahre lang als Offizier auf Zeit bei der Bundesmarine, zuletzt im Rang eines Kapitänleutnants.