Faszination für die Seefahrt wecken
Die maritime Wirtschaft muss sich stärker als bisher um Sichtbarkeit und Interesse bei der Generation Z bemühen. Wer junge Leute als Fachkräfte von morgen gewinnen wolle, müsse ihnen zunächst die Faszination der Arbeit in Land- und Seebetrieben nahebringen. Diese Botschaft haben Teilnehmende und Referierende des 18. Bremer Schifffahrtskongresses am 12. und 13. November 2024 an die Branche gesendet. Im Mittelpunkt der gemeinsamen Veranstaltung der Hochschule Bremen (HSB), des Maritimen Clusters Norddeutschland (MCN), des Deutschen Maritimen Zentrums (DMZ) und weiteren Partner:innen standen „Aktuelle Herausforderungen in der maritimen Personalwirtschaft“.
„Jedes Schiff ist wie eine Blackbox. Wie faszinierend die Arbeit auf dem Meer ist, kann von Land aus niemand sehen“
Die Unternehmen der maritimen Wirtschaft haben im Land- wie im Seebetrieb genau wie andere Branchen seit geraumer Zeit mit dem Fachkräftemangel zu kämpfen. Allerdings stehen Seefahrtunternehmen und ihr wirtschaftliches Umfeld nach Überzeugung von Jörg Wolf einer besonderen Herausforderung gegenüber: „Jedes Schiff ist wie eine Blackbox. Wie faszinierend die Arbeit auf dem Meer ist, kann von Land aus niemand sehen“, berichtete der Düsseldorfer Werbeprofi. Bevor junge Leute für konkrete Berufe und Arbeitsplätze gewonnen werden könnten, müsse ihnen die Faszination des maritimen Sektors nahegebracht werden, betonte Wolf. Als Beispiel dienten ihm Kampagnen seiner Agentur-Gruppe Castenow für die Arbeitgebermarke der Bundeswehr und Deutschen Marine sowie für das Employer-Branding der Kreuzfahrtreederei Aida.
„Bevor ich mich für einen bestimmten Arbeitsplatz interessiere, möchte ich wissen, ob mich die Branche und die Firma begeistern können“
Der maritimen Wirtschaft zu mehr Sichtbarkeit zu verhelfen, ist nach Überzeugung der Kongressteilnehmenden nicht nur eine Aufgabe für die Branche und das jeweilige Unternehmen, sondern auch für Schulen und andere Bildungsträger. Das wurde in einem Workshop zum „Frischen Wind fürs maritime Recruiting“ deutlich. Moderiert von Dr. Susanne Neumann, Leiterin der MCN-Geschäftsstelle Niedersachsen, und Sabine Zeller, Geschäftsführerin der Berufsbildungsstelle Seeschifffahrt e.V., gewannen die Teilnehmenden überraschende Erkenntnisse zu gängigen Einschätzungen über die Haltung der Generation Z. Studierende der Hochschule Bremen widersprachen beispielsweise der verbreiteten Überzeugung, dass Arbeitgeber:innen vor allem durch Social-Media-Aktivitäten junge Menschen auf sich aufmerksam machen könnten. Viel wichtiger sei ein guter Internet-Auftritt der jeweiligen Firma mit konkreten Infos über das Unternehmen und seine Arbeit. „Bevor ich mich für einen bestimmten Arbeitsplatz interessiere, möchte ich erst einmal wissen, ob mich die Branche und die Firma begeistern können“, sagte einer der Studierenden.
„Ich bin überzeugt, dass wir auf diesem Weg auch mehr Frauen für unsere Arbeit begeistern können.“
Um dem Fachkräftemangel erfolgreich zu begegnen, sind unter Umständen neue Wege zur Ausbildung von Nachwuchskräften erforderlich. Beispielhaft verdeutlichte dies Erik Dalege als Vorsitzender der Bundeslotsenkammer. Bislang gewannen die deutschen Lotsenbrüderschaften ihre Nachwuchskräfte aus dem Kreis erfahrener Kapitäne, die nach einer Zusatzausbildung und Prüfung von der Aufsichtsbehörde bestallt wurden. Weil dies nicht mehr zur Deckung des jährlichen Bedarfs von etwa 40 neuen Lots:innen auf Nord- und Ostsee ausreicht, gibt es seit diesem Jahr eine Hochschul-Ausbildung für Bewerber:innen ohne vorherige Fahrenszeit auf See. Wer den Bachelor-Studiengang Nautik und eine anschließende Eignungsprüfung erfolgreich abgeschlossen hat, kann in einem 24-monatigen Zusatzstudium den Master of Maritime Pilotage erwerben. Dalege verbindet dies mit einer Hoffnung: „Ich bin überzeugt, dass wir auf diesem Weg auch mehr Frauen für unsere Arbeit begeistern können.“ Derzeit gibt es unter den rund 900 Lots:innen auf deutschen Seeschifffahrtsstraßen nur fünf Frauen.
„Letztlich geht es darum, die Bestimmungen der Labour Convention an Bord auch zu leben.“
Die Attraktion eines maritimen Berufs ist unmittelbar mit der Qualität des Arbeitsplatzes verbunden. Sich um gute Arbeitsverhältnisse insbesondere an Bord zu kümmern, liege im eigenen Interesse der Reedereien, betonte der MCN-Vorsitzende Prof. Bastian Gruschka, der an der Hochschule Bremen als Professor für Maritime Technology tätig ist. Es sei aber auch Teil des internationalen Regelwerkes, für die Schifffahrt, ergänzte Gruschka, der den Schifffahrtskongress moderierte: „Letztlich geht es darum, die Bestimmungen der Labour Convention an Bord auch zu leben.“
„Viele schämen sich, darüber zu sprechen“
Nach Überzeugung von Kerstin Broocks, stellvertretende MCN-Vorsitzende, und Kerstin Kraass aus dem MCN-Beirat und der Leitung der MCN-Fachgruppe Personal und Qualifizierung sind Seeleute besonders hohen physischen und psychischen Belastungen ausgesetzt. Dazu zählen sie sowohl Stress durch lange Arbeitszeiten und mangelnden Schlaf als auch seelische Belastungen durch Einsamkeit, eine lange Zeit auf See und die ebenso lange Trennung von Familie und Freund:innen. „Viele schämen sich, darüber zu sprechen“, berichtete Kerstin Broocks. „Zudem ist an Bord schlecht Hilfe zu bekommen“, betonte Kerstin Kraass. Die Reedereien an Land und die Führungskräfte müssten unbedingt dafür Sorge tragen, „dass immer jemand an Bord ist, mit dem die Seeleute vertraulich reden können“, so Broocks. Das Wohlbefinden der Seeleute ist für die beiden Expertinnen entscheidend für das Bild des Berufes: „Seefahrt und die maritime Industrie können als Arbeitsplatz hoch attraktiv sein.“
In weiteren Fachvorträgen und Workshops befassten sich die rund 150 Teilnehmenden des 18. Bremer Schifffahrtskongresses mit Fragen der maritimen Sicherheit wie beispielsweise dem Schutz vor Cyberkriminalität. Maritime Bedrohungen beispielsweise durch Piraterie und kriegerische Auseinandersetzungen stellen auch neue und besondere Anforderungen an die Ausbildung und den Einsatz von Seeleuten. Außerdem zeichnete das Deutsche Maritime Zentrum zum dritten Mal Dozierende für ihre „hervorragende akademische maritime Lehre“ aus.