Presse

19. Mai 2025

Positive Signale für das Schiffsrecycling

Erster Verwerter in Deutschland zugelassen – MCN-Tagung beleuchtet weitere Entwicklung

Für deutsche Schiffbauunternehmen kann es ein lukratives Zusatzgeschäft sein, Stahlschrott und andere Wertstoffe beim Abbruch alter Schiffe zurückzugewinnen. Die Werften an Nord- und Ostsee können zukünftig neben Neubau- und Reparaturgeschäft mit dem Recycling ein interessantes Geschäftsfeld finden. Das hat die jüngste Fachtagung des Maritimen Clusters Norddeutschland (MCN) in Emden gezeigt. Der Anlass: Als erstes deutsches Unternehmen hat die Emder Werft und Dock GmbH (EWD) für ihre neu gegründete Tochter EWD Benli Recycling GmbH & Co. KG die Betriebszulassung zum Schiffsrecycling bekommen.

„Alter Stahl bekommt neue Perspektiven“ – mit dieser Kurzformel brachte es Dr. Susanne Neumann, Leiterin der Geschäftsstelle Niedersachsen im Maritimen Cluster Norddeutschland, auf den Punkt: Auf dem Gelände der früheren Nordseewerke Emden darf künftig auch Schiffsrecycling betrieben werden. Seit mittlerweile fünf Jahren beschäftigen Neumann und ihr Team sich gemeinsam mit ihren Mitgliedern mit diesem Thema. Die meiste Zeit wurde benötigt, um überhaupt in Politik, Wirtschaft und Verwaltung das Bewusstsein für das Thema zu schaffen. Das eigentliche Verfahren um die Betriebszulassung für die Recycling-Tochter der Emder Werft dauerte beim staatlichen Gewerbeaufsichtsamt Oldenburg lediglich eineinhalb Jahre – „das ist auch im europäischen Vergleich ein kurzer Zeitraum“, betonte Reinoud Pijpers, Direktor der International Ship Recycling Association ISRA.

Das Genehmigungsverfahren für das Schiffsrecycling auf dem Gelände eines Schiffbaubetriebes folgt im Grunde den gleichen Abläufen wie andere Verfahren auch – nur das Vorhaben selbst ist noch vergleichsweise neu. „Wir haben eine Bestandswerft, also keine neuen Anlagen, aber es gibt neue Auswirkungen“, erläuterte Martina Johannsen, die das Emder Projekt seitens des Staatlichen Gewerbeaufsichtsamtes Oldenburg begleitete. Obwohl die Arbeiten beim Abbruch denen beim Umbau oder der Reparatur eines Schiffes gleichen, ist eine Erweiterung der Betriebsgenehmigung nach den rechtlichen Bestimmungen für die Abfallbehandlung und den Immissionsschutz erforderlich. Die beteiligten Behörden müssen für die Zulassung innerhalb bestimmter Fristen agieren, betonte Johannsen. Dennoch könnten Antragsteller nach ihrer Überzeugung selbst die Verfahrenslänge beeinflussen, indem sie zum Beispiel einen zentralen Ansprechpartner im Unternehmen benennen oder benötigte Informationen schnell und vollständig zur Verfügung stellen.

Dass das Verfahren in Emden so zügig abgewickelt werden konnte, ist nach Überzeugung des Umweltministeriums sowohl dem Unternehmen als auch dem Gewerbeaufsichtsamt zu verdanken. Niedersachsens Umweltminister Christian Meyer hob den umweltpolitischen Nutzen hervor: „Ich freue mich sehr über die erste Genehmigung für ein nachhaltiges Schiffsrecycling in Niedersachsen. Es ist eine umweltpolitische Katastrophe, dass wir in den letzten Jahrzehnten ausgemusterte Industrieschiffe insbesondere nach Südostasien verschickt haben, wo sie unter schlechtesten Umwelt- und Sozialbedingungen verrotteten. Niedersachsen hat sich daher über die Umweltministerkonferenz zusammen mit Bremen seit längerem für ein heimisches Schiffsrecycling und Rohstoffgewinnung in Deutschland stark gemacht. Dass nun die Emder Werft und EWD Benli Recycling als erste in Deutschland in die nachhaltige Wiederverwendung von Schiffen einsteigen, begrüße ich sehr.“

Die Betriebsgenehmigung für die Recycling-Tochter der Emder Werft hat auch einen symbolischen Wert: Ende Juni tritt die sogenannte Hong Kong Convention in Kraft. Sie soll dem bislang üblichen, umwelt- und gesundheitsgefährdenden Abbruch von Alttonnage an Stränden – vornehmlich in Asien – ein Ende setzen. Schon kurz nach der Übernahme der Emder Werft hatte die Bremerhavener Benli-Gruppe das Potenzial erkannt, das im geordneten Schiffsrecycling für den traditionsreichen Schiffbaustandort an der Ems steckt. Die ehemaligen Nordseewerke bieten mit einem Trocken- und zwei Schwimmdocks sowie 55 Hektar Gesamtfläche und 1,7 Kilometer langen Kaianlagen ideale Voraussetzungen für die Rückgewinnung von Wertstoffen aus Alttonnage parallel zum Neu- und Umbau sowie der Reparatur von Schiffen. „Wir haben die Fachkräfte, wir haben das Know-how und wir haben die notwendigen technischen Fazilitäten für das Recycling“, betonte Geschäftsführer Björn Sommer auf der MCN-Fachtagung.

Als sie im vergangenen Jahr mit der konkreten Planung begannen, sicherten sich Sommer und die Benli-Gruppe die Unterstützung des Recycling-Experten Dr. Sebastian Jeanvré. „Unser Ziel ist es, den Rückbau von Schiffen nicht nur effizient, sondern auch ökologisch und ökonomisch in Emden zu gestalten – damit Nachhaltigkeit in der maritimen Industrie keine Option, sondern Standard ist und die wertvollen Rohstoffe aus den anthropogenen Multimaterialverbunden in Deutschland bleiben und verwertet werden können“, betont Jeanvré, der als Geschäftsführer der ReLog GmbH sehr viel Erfahrung in der Planung und Umsetzung von Industrieanlagen-, Windrad- und Flugzeugrecycling besitzt.

Grundsätzlich erwarten Fachleute für die kommenden Jahre eine stark wachsende Nachfrage nach Recycling-Kapazitäten. „Die Welthandelsflotte hat sich in den letzten 15 Jahren verdoppelt, ist im Schnitt über 20 Jahren alt“, erläuterte der Veranstaltungsmoderator Henning Gramann, der sich mit seinem Unternehmen GSR-Services GmbH als internationaler Berater seit vielen Jahren mit dem Thema befasst. Nach seiner Überzeugung können bis zu 98 Prozent der in einem Schiff verbauten Materialien verwertet werden; insbesondere für den Schiffbaustahl werde es angesichts des hohen Schrottbedarfs in der Stahlindustrie eine große Nachfrage geben. Gramann sieht Deutschland in einer besonderen Verantwortung für ein sicheres und sauberes Schiffsrecycling: „Deutschland ist führend bei der Herstellung maritimer Komponenten, dem Kreuzfahrt- sowie Spezialschiffbau und weltweit auf Platz 7 der Schifffahrt. Das schafft Verantwortungen, die über Bau und Betrieb von Schiffen hinausgehen.“

Allerdings werde der weltweite Markt auch in den kommenden Jahren trotz Hong Kong Convention und der seit 2020 vollumfänglichen geltenden EU-Verordnung für das Schiffsrecycling durch Verwerfungen gekennzeichnet sein, warnte ISRA-Direktor Pijpers auf der MCN-Tagung. In Bangladesch werden nach seinen Angaben für Abwrack-Schiffe derzeit rund 500 US-Dollar pro Tonne Stahlgewicht gezahlt, in Europa dagegen nur 150 Dollar. Die EU-Verordnung schreibe zwar vor, dass unter EU-Flagge gefahrene Schiffe nur auf von der EU-zertifizierten Werften abgewrackt werden dürfen: „Aber es fehlen die Vorschriften und Instrumente, Verstöße zu verfolgen und zu ahnden.“

Die Emder Recycler haben diese Bedenken bereits in ihren Planungen berücksichtigt. Ihrem von Sommer und Jeanvré auf der Fachtagung vorgestellten Konzept zufolge wollen sie sich auf kleine und auf staatliche Schiffe konzentrieren – für solche Einheiten erscheint es kaum sinnvoll, sie am Ende ihrer Dienstzeit auf weite Reisen zum Recyceln zu schicken (zu hohe Verbringungskosten). Derzeit arbeiten die beiden Geschäftsführer und das Team noch an der Zertifizierung der EWD Benli Recycling GmbH & Co KG nach den EU-Bestimmungen. Den Recycling-Betrieb wollen sie noch in diesem Jahr aufnehmen.

Und auch zukünftig will EWD ganz vorne mit dabei sein, wenn es um technologische Innovationen geht, weshalb sie sich im vom MCN initiierten ZIM-Netzwerk ShipRec engagieren. Dieses Netzwerk wurde von Dr. Daniela Köster von der EurA AG vorgestellt. Es ist eine Plattform für technologische Entwicklungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette des nachhaltigen Schiffsrecyclings – mit dem Ziel, einen skalier- und übertragbaren Rückbauprozess für maritime Großstrukturen zu entwickeln, der moderne Trennverfahren, Digitalisierung und Demontage-Management integriert.

In einer lebendigen Podiumsdiskussion mit Henning Gramann sprachen Tomke van Loh (Liberty Group) und Roman Luplow (Inros Lackner SE) über die Perspektiven der Reederschaft im Schiffsrecycling – und machten deutlich: Zwar bleibt der Kostendruck in der Schifffahrt eine zentrale Herausforderung, doch bestimmte Marktsegmente bieten durchaus Potenzial für ein Recycling in Deutschland. Der weitverbreitete Glaube, dies sei hierzulande grundsätzlich zu teuer, sei überholt – moderne Technologien, wie sie international bereits im Einsatz sind, könnten auch in Deutschland wirtschaftlich tragfähige Lösungen ermöglichen. Fortgeführt wurden die engagierten Diskussionen auf einem Werftrundgang unter fachkundiger Führung.

„Es ist großartig zu sehen, wie sich im Rahmen des MCN-Arbeitsschwerpunktes Kreislaufwirtschaft eine engagierte Schiffsrecycling-Community formiert hat, die mit regelmäßigen Treffen, gelebter Kooperation und konkreten Projekten zeigt, wie Innovationen zugleich Umwelt, Gesellschaft und Wirtschaft voranbringen können“, freute sich Dr. Susanne Neumann.

 

Über das Maritime Cluster Norddeutschland

Das Maritime Cluster Norddeutschland (MCN) ist das Netzwerk der maritimen Branche in Norddeutschland. Mit über 350 Mitgliedern aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik fördert das MCN den Austausch, die Zusammenarbeit und Innovation innerhalb der Branche sowie an Schnittstellen zu anderen Industrien. Durch Geschäftsstellen in Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein ist das MCN regional präsent und bietet Akteur:innen vor Ort gezielte Unterstützung – von der Suche nach Innovationspartner:innen über Informationen zu Förderprogrammen bis hin zur Vermittlung wertvoller Kontakte. Das MCN koordiniert acht Fachgruppen zu den Themen Innovationsmanagement, Maritime Informations- und Kommunikationstechnologien, Maritimes Recht, Maritime Sicherheit, Maritime Wirtschaft Offshore Wind, Personal und Qualifizierung, Schiffseffizienz sowie Unterwasserkommunikation. 
Gegründet im Jahr 2011 als länderübergreifendes Cluster der Länder Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein, kamen 2014 Bremen und Mecklenburg-Vorpommern hinzu. Seit 2017 agiert das MCN als eingetragener Verein.

 

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