Presse

08. November 2023

Das große Potenzial für Schiffsrecycling in Deutschland nutzen

MCN-Symposium beleuchtet Chancen und Hemmnisse für eine maritime Kreislaufwirtschaft

Jahrelang wurden kaum Schiffe verschrottet. Jetzt kommt der Markt in Bewegung; zudem wächst in der Stahlindustrie das Interesse an dem wiedergewonnenen Rohstoff. In dem am 7. November in Bremen stattgefundenen Symposium „Umweltgerechtes Schiffsrecycling in Deutschland – Was braucht es für einen erfolgreichen Markthochlauf?“ thematisierte das Maritime Cluster Norddeutschland (MCN) in Kooperation mit dem Kompetenzzentrum GreenShipping Niedersachen, dem Deutschen Nautischen Verein und dem Nautischen Verein zu Bremen die Chancen und noch zu lösenden Aufgaben für die maritime Branche.

Die Zahlen sind beeindruckend. Einer Analyse des Leibniz-Zentrum für marine Tropenforschung (ZMT) in Bremen zufolge werden ab 2033 jährlich weltweit mehr als 20 Millionen Tonnen Stahlschrott aus dem Abbruch von Fracht- und Passagierschiffen auf den Markt kommen. Zugleich wächst der Bedarf der Stahlindustrie an dem Recycling-Material. Allein das Stahlwerk Bremen von Arcelor Mittal wird im Zuge der Umstellung auf klimaschonende Produktionsverfahren bis zu 1,75 Millionen Tonnen Schrott pro Jahr als Rohstoff benötigen. „Deutschland könnte auf dem Markt eine führende Rolle übernehmen“, betonte der Wissenschaftliche ZMT-Geschäftsführer Prof. Dr. Raimund Bleischwitz auf dem Symposium in Bremen. Allerdings stehen dem sowohl regulatorische als auch ökonomische Hemmnisse entgegen, wurde auf der Fachtagung mit rund 90 Teilnehmer:innen deutlich.

Wenn sich der Lebenszyklus eines Schiffes dem Ende nähert, schicken es seine Eigner zum Abwracken nach Bangladesch, Indien, Pakistan und – etwas seltener – in die Türkei. Immer wieder gehen Bilder und Berichte aus Südasien über die katastrophalen Verhältnisse beim „Beaching“ für Arbeiter:innen und Umwelt um die Welt. Doch in den Industrieländern Asiens und Europas, wo die Schiffe gebaut werden und die Eigner:innen ihren Sitz haben, gibt es so gut wie keine Abwrack-Kapazitäten. „Bislang hat das niemand hier auf der Agenda, obwohl umweltgerechtes Schiffsrecycling ein wichtiges Thema ist, für das es am maritimen Standort Deutschland großes Know-how gibt“, zeigte sich der Moderator des Symposiums, Henning Gramann, überzeugt. Gramann ist zertifizierter Gutachter und einer der führenden Fachleute für Schiffsrecycling.

Mit der Hongkong-Convention tritt 2025 eine erste internationale Vereinbarung über Mindestanforderungen an das Shipwrecking in Kraft. „Aber das ist lediglich eine völkerrechtliche Regelung, die keinerlei Konsequenzen bei Verstößen nach sich zieht“, betonte der Hamburger Anwalt und Schiffsrechtsexperte Clemens Hillmer. Auch die 2013 verabschiedete EU-Schiffsrecycling-Verordnung ist offenbar ein stumpfes Schwert. Ihr zufolge dürfen unter der Flagge von EU-Ländern fahrende Schiffe nur in EU-zertifizierten Betrieben abgewrackt werden – von den derzeit 48 aufgelisteten Unternehmen in Europa sind nur die wenigsten gelegentlich aktiv. Kurz vor dem Abwracken werden Schiffe häufig schnell noch umgeflaggt, sodass sie nicht unter die EU-Regel fallen. Der Hintergrund ist monetärer Natur: „In Südasien bekommen die Reeder 450 bis 500 Dollar pro Tonne Schiffsgewicht, in Europa dagegen nur 100 bis 150 Dollar“, erläuterte Gramann.

Weil Transport-Kapazitäten stark gefragt waren und die Preise für Stahlschrott auf Talfahrt gingen, wurden in den vergangenen Jahren immer weniger Schiffe verschrottet. Jetzt zeichnet sich eine Trendwende ab. Das unterstreicht die Potenzialanalyse „Schiffsrecycling in Bremen“, die Prof. Dr. Bleischwitz gemeinsam mit einem Team am ZMT erstellt hat. „Ab 2033 werden etwa fünf Prozent des weltweiten Schrottbedarfes aus dem Schiffsrecycling kommen“, berichtete Bleischwitz auf dem Symposium. Aufgrund der vorhandenen Schiffbau-Expertise biete das Land Bremen hervorragende Voraussetzungen, an diesem Boom teilzuhaben. „In einem erstarkten Geschäftsfeld Schiffsrecycling könnte Deutschland eine führende Rolle in Europa einnehmen“, betonte der Wissenschaftler.

In der Tat wächst die Nachfrage nach Stahlschrott in der Stahlindustrie. Die Branche muss ihren CO2-Ausstoß in der Produktion drastisch reduzieren, ein verstärkter Einsatz von Schrott als Rohstoff könnte die Treibhausgas-Emissionen um 80 bis 90 Prozent reduzieren, ist Bleischwitz überzeugt. Das Stahlwerk Bremen von Arcelor Mittal gehört zu den ersten, die ihre beiden traditionell mit Koks befeuerten Hochöfen schrittweise unter anderem durch Elektroschmelzöfen ersetzen. In diesem Verfahren ist Schrott ein wichtiger Rohstoff, sein Kohlenstoffgehalt ist bereits gering. In Bremen hat Arcelor Mittal bereits die Weichen in diese Richtung gestellt: „In den kommenden Jahren werden wir den Anteil von Schrott von derzeit 800.000 Tonnen auf 1,8 Millionen Tonnen steigern“, kündigte Jürgen Fries an, der die Strategie-Entwicklung für das Stahlwerk Bremen verantwortet.

Allerdings verdeutlichte Fries auf dem Symposium auch: „Stahlschrott muss für unsere Produkte zum Beispiel für die Automobilindustrie eine hohe Qualität haben.“ Die Voraussetzungen dafür müssen bereits beim Abwracken geschaffen werden, indem das gewonnene Material möglichst sortenrein aufbereitet wird. Zudem sind auf Schiffen auch viele Nichteisenmetalle sowie stark gefragte, weil seltene Materialien, verbaut. Richtig verstandenes Recycling stelle hohe technologische Ansprüche ans Abwracken und ist deshalb ein ideales Thema für den maritimen Standort Deutschland, verdeutlichten sowohl Bleischwitz als auch Gramann auf dem Symposium.

Mit dem Start-up „Leviathan“, Gewinner des Nachhaltigkeitspreises MCN Cup 2021, gibt es eine erste Unternehmensinitiative für Schiffsrecycling in Deutschland. „Leviathan“ hat nach langer Suche einen Standort in Stralsund gefunden, an dem – sobald alle Genehmigungen vorliegen – Schiffe bis 140 m Länge recycelt werden sollen. Doch bevor aus dieser Initiative eine Branche werden kann, müssen zahlreiche Themen geklärt werden, die schon mit Grundsatzfragen beginnen: Ist Schiffsrecycling vergleichbar mit Schiffbau (nur in umgekehrter Reihenfolge) und kann es in bestehenden Betrieben vorgenommen werden? Oder ist es eine Form der Abfallbeseitigung? Je nach Einordnung gestalten sich Genehmigungsverfahren, Standortvoraussetzungen und Betriebsauflagen. „Es liegen noch viele Aufgaben und offene Fragen vor uns“, fasste Andreas Born, Leiter der MCN-Geschäftsstelle Bremen, das Symposium zusammen. „Viele Stakeholder haben aber ihr Interesse bekundet, an Demoprojekten mitzuwirken, die das Potenzial des Schiffsrecyclings und der maritimen Kreislaufwirtschaft insgesamt adressieren. Wir als MCN werden die Akteure im Nachgang zu konkreten Projektinitiativen zusammenbringen.“

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Über das Maritime Cluster Norddeutschland

Das Maritime Cluster Norddeutschland (MCN) fördert und stärkt die Zusammenarbeit in der norddeutschen maritimen Branche. Es ermöglicht Plattformen des Dialogs der Akteur:innen untereinander und fördert Innovation und Schnittstellen zu anderen Branchen. Mit Geschäftsstellen in Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein ist das MCN präsent und kooperiert mit den Akteur:innen vor Ort. Es unterstützt unter anderem bei der Suche nach Innovationspartner:innen, informiert zu Förderprogrammen und vermittelt Kontakte in die maritime Branche. Mehr als 350 Unternehmen und Institutionen aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik sind Mitglied im MCN. Insgesamt acht Fachgruppen koordiniert das MCN zu den Themen Innovationsmanagement, Maritime Informations- und Kommunikationstechnologien, Maritimes Recht, Maritime Sicherheit, Maritime Wirtschaft Offshore Wind, Personal und Qualifizierung, Schiffseffizienz sowie Unterwasserkommunikation.
Das Maritime Cluster Norddeutschland wurde 2011 gegründet. Zunächst arbeiteten die Länder Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein in dem länderübergreifenden Cluster zusammen, im September 2014 kamen auch Bremen und Mecklenburg-Vorpommern hinzu. Seit 2017 agiert das MCN als Verein.

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