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07. März 2024

Neuer Treibstoff aus altem Fett – HVO stärkt Klimaschutz in der Schifffahrt

Mit einem Branchen-Workshop rund um „Hydrotreated Vegetable Oil“ (HVO) hat das Maritime Cluster Norddeutschland (MCN) am 5. März 2024 im niedersächsischen Brake die Initiative für eine „HVO-Modellregion Unterweser“ gestartet. Der Kraftstoff aus Altfetten oder Speiseölresten und Wasserstoff lässt sich regional produzieren und kann die klimaschädlichen Emissionen von Binnen- und kleineren Seeschiffen um bis zu 90 Prozent reduzieren.

„Freie Fahrt mit Frittenfett“ titelte die ARD Tagesschau im Frühjahr 2023, als sich im Bremerhavener Überseehafen das erste Mal eine Rangierlok mit Hilfe einer in Deutschland noch wenig genutzten Art Biokraftstoff vorwärts bewegte. Das Ergebnis der ersten Testläufe mit „Hydrotreated Vegetable Oil“ (HVO) sei vielversprechend gewesen, erinnert sich Prof. Dr. Iven Krämer, Leiter des Referates Hafenwirtschaft und Logistik bei der Senatorin für Wirtschaft, Häfen und Transformation in Bremen: „Die Luft bleibt sauber, die Motoren sind leiser.“ Die neue Form von Bio-Diesel wird aus Altfetten oder Reststoffen bei der Speiseölverarbeitung unter Zugabe von Wasserstoff hergestellt und reduziert im Vergleich zu fossilen Kraftstoffen die klimaschädlichen CO2-Emissionen bilanziell erheblich. Wie der vielversprechende Brennstoff in der Schifffahrt genutzt werden kann, stand jetzt im Mittelpunkt eines Workshops des Maritimen Clusters Norddeutschland in Brake (Kreis Wesermarsch).

HVO hat grundsätzlich ähnliche Eigenschaften wie die bereits verbreiteten GTL-Diesel und lässt sich ohne wesentliche Modifikationen in herkömmlichen Dieselmotoren verwenden. Das haben Detailuntersuchungen der Ingenieurgesellschaft Auto und Verkehr (IAV) gezeigt, die Prof. Dr. Wolfram Gottschalk auf dem Workshop präsentierte. Bei der Herstellung werden Kohlenstoff-Moleküle aus den Fettrückständen mit Wasserstoff zu Kohlenwasserstoffen verbunden. Das Endprodukt ist in der Verbrennung nicht komplett CO2-frei, „aber es ist der erste große Schritt auf dem Weg zur klimaneutralen Schifffahrt“, zeigte sich Gottschalk in Brake überzeugt.

Für Henning Edlerherr, Projektmanager der MCN-Geschäftsstelle Niedersachsen in Elsfleth, ist HVO vor allem für den Einsatz in Binnenschiffen sowie in Fähren und kleineren Arbeitsschiffen prädestiniert: „Deren Dieselmotoren können einfach und kostengünstig auf HVO umgestellt werden.“ Dass das MCN den HVO-Workshop in Brake ausrichtete, hat einen einfachen Hintergrund: In Brake befindet sich ein potenzieller Hersteller. „HVO lässt sich auch im kleineren Maßstab regional produzieren“, weiß Edlerherr.

Auf dem Gelände des Hafens in Brake errichtet der internationale Konzern Olenex Edible Oils derzeit Europas größte Fettraffinerie. Die bei der Produktion von Speisefetten und -ölen entstehenden Reststoffe wären als Basis für die HVO-Herstellung geeignet. „Hydrotreated Vegetable Oils können für uns ein interessantes Thema sein“, bestätigte Betriebsleiter Dennis Arends auf dem Workshop. Auch den notwendigen mit Hilfe von Windstrom hergestellten „grünen“ Wasserstoff soll es in wenigen Jahren in Hafennähe geben – dort wird ein 10-Megawatt-Elektrolyseur gebaut.

Allerdings kostet HVO noch beinahe doppelt so viel wie herkömmlicher unversteuerter fossiler Brennstoff. Für die deutsche Binnenschifffahrt – sie steht unter starkem Konkurrenzdruck aus dem Ausland – sei dies ein erheblicher Wettbewerbsnachteil, verdeutlichte unter anderem Sebastian Poser für die Reederei B. Dettmer. Zu klären sind jedoch noch weitere Fragen. Nach Einschätzung von Workshop-Teilnehmer:innen ist unter anderem offen, wie der HVO-Einsatz mit Blick auf die kommenden Emissionsabgaben behandelt wird.

Immerhin könnten die Produktionskosten nach Überzeugung von Prof. Thomas Willner reduziert werden. Der Verfahrenstechniker hat mit einem Team der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg (HAW Hamburg) eine Produktionsmethode entwickelt, die die Aufbereitung des Altfetts erheblich vereinfacht und auch eine dezentrale Produktion im erheblich kleineren Maßstab ermöglicht.

Für den Biokraftstoff-Lieferanten NEF Group erinnerten Andreas Deul und Jörg Lieder daran, dass die Verfügbarkeit wesentlich wichtiger sei als die wahrscheinlich zu lösende Kostenfrage. Die Nachfrage nach HVO werde auf jeden Fall wachsen, betonten die beiden: „Klimafreundliche Kraftstoffe werden auch im Straßenverkehr und überall dort benötigt, wo geheizt wird – vor allem in der Industrie.“

Zur wachsenden Nachfrage nach HVO und vor allem zur Klärung der noch offenen Fragen will das Maritime Cluster Norddeutschland beitragen. Mit der Veranstaltung in Brake hat die MCN-Geschäftsstelle Niedersachsen einen ersten Schritt zu einer HVO-Modellregion Unterweser unternommen. „Mit den unterschiedlichen Anwender:innen, zum Beispiel in den Häfen und der Binnenschifffahrt, sowie den Produktionsmöglichkeiten in Brake, haben wir hier ideale Voraussetzungen, HVO in der Praxis zu verankern“, betonte Edlerherr. bremenports beispielsweise sammelt erste Betriebserfahrungen mit HVO an Bord eines Arbeitsschiffes.

Wie wirkungsvoll HVO sein kann, hatte schon der erste Einsatz im Rangierbetrieb des Bremerhavener Überseehafens gezeigt. Eines der beteiligten Eisenbahn-Unternehmen „hat inzwischen schon mehr als 100.000 Liter HVO verwendet und dadurch mehr als 750 Tonnen CO2-Emissionen vermieden“, berichtete Prof. Dr. Krämer.

© Fotos: Wolfgang Heumer (sofern nicht anders angegeben)