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12. April 2024

Munitionsaltlasten in Nord- und Ostsee: Die Generationenaufgabe angehen

Fast 80 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges ist der Meeresboden von Nord- und Ostsee noch immer schwer gezeichnet von den Folgen dieses verheerenden Ereignisses. Expert:innen schätzen, dass mindestens 1,6 Millionen Tonnen Altmunition auf dem Grund der deutschen Küstengewässer liegen. Je länger der militärische Müll im Wasser verrottet, desto gefährlicher wird es für die Umwelt. Die Korrosion der Munition schreitet weiter voran, unter anderem freigesetzter giftiger Sprengstoff TNT bedroht die maritime Flora und Fauna.

Wie die Gefahr gebannt werden kann, darüber diskutierten am 11. April 2024 im Technologiezentrum Warnemünde (TZW) rund 120 Vertreter:innen aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft auf der Fachveranstaltung „Munition im Meer – Perspektiven und Wertschöpfungspotenziale“. Eingeladen hatten das Maritime Cluster Norddeutschland (MCN), die Gesellschaft für Maritime Technik (GMT) und das Subsea Monitoring Network (SMN). „Wir wollen ins Handeln kommen. Ziel ist es, die Akteure und Akteurinnen aus relevanten Bereichen von Wissenschaft und Wirtschaft zusammenzubringen und Impulse zu setzen für Gemeinschaftsprojekte, um aktiv mit der Munitionsräumung zu beginnen und Business Cases zu schaffen“, sagte Katrin Caldwell, stellvertretende Geschäftsführerin des MCN, zum Auftakt.

„Funktionsfähige und sichere Prozesskette etablieren“

Im vorigen Jahr hatte die Bundesregierung ein Sofortprogramm „Munitionsaltlasten in Nord- und Ostsee“ (2023 – 2025) auf den Weg gebracht und dafür 100 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Um welche konkreten Ziele und Projekte es dabei geht und wie diese umgesetzt werden sollen, darüber informierte einleitend Dr. Wolfgang Sichermann, Geschäftsführer der Seascape GmbH, die das Sofortprogramm im Auftrag des Bundesumweltministeriums koordiniert.

Sichermann charakterisierte das Sofortprogramm als „Einstieg in die systematische Beräumung und Vernichtung von Munitionsaltlasten“. Ein komplexer Gesamtprozess mit vielen Beteiligten, in dem es gelte, von der Erkundung bis zur Entsorgung der Munitionsaltlasten, eine „funktionsfähige und sichere Prozesskette“ zu etablieren und daraus ein industrielles Wertschöpfungsmodell zu entwickeln. In der Pilotierung des Projektes, die in zwei Schritten bis 2026 erfolgt, soll der „Nachweis der Machbarkeit“ erbracht werden. Größte Herausforderung sei die Aufbereitung und Vernichtung „der Altmunition vor Ort, nahe der Versenkungsgebiete“. Zu diesem Zweck ist geplant, eine schwimmende Industrieanlage zu bauen und zu erproben. Angestrebt werde zunächst eine Verbrennungsleistung von 750 Tonnen Altmunition pro Jahr.

„Nicht nur ein Thema der Küstenländer“

Wie vielschichtig der weltweit erste Versuch ist, Altmunition industriell zu entsorgen, verdeutlichte die anschließende Diskussion. Um beispielsweise die Finanzierung über das aktuelle Sofortprogramm hinaus sicherzustellen, müssten Bund und Länder zu einem „überparteilichen und legislaturübergreifenden Konsens finden“, forderte Andreas Burmester, Maritimer Koordinator der Landesregierung Schleswig-Holstein. Die Munition im Meer sei „nicht nur ein Thema der Küstenländer“.

Prof. Moustafa Abdel-Maksoud von der Technischen Universität Hamburg lenkte den Fokus auf den Umweltaspekt. Wie wirkt es sich auf die Meerwasserqualität aus, wenn der Meeresboden durch Unterwasserfahrzeuge massiv aufgewirbelt wird? Es müsse ausgeschlossen werden, dass „mit der Munitionsentsorgung zum Schutz der Umwelt neue Umweltschäden einhergehen“. Die Meeresforschung sollte daher von Beginn an in den Gesamtprozess einbezogen werden, so Prof. Abdel-Maksoud.

„Bereits vorhandene Technik aus der Offshore-Industrie in die Pilotierung einbringen"

Welche Schlüsselrolle ein effizientes Datenmanagement spielt, erläuterte Jann Wendt, Geschäftsführer der Kieler north.io GmbH, die sich seit geraumer Zeit mit Big Data und Künstlicher Intelligenz zur Lösung der Altlasten-Problematik beschäftigt. „Für das Verständnis der Situation in den Versenkungsgebieten, für die Kartierung und Dokumentation bis hin zur Prozessüberwachung sind Unmengen von Daten zu erfassen, auszuwerten und abzugleichen“, umriss Wendt das Erfordernis einer digitalen Strategie. Diese sei aber nur umsetzbar, wenn alle Beteiligten bereit sind, eigene Datensätze mit anderen zu teilen und auszutauschen. „Das ist die Grundlage für die angestrebte Vollautomation in dem Prozess.“

Wie intensiv sich Unternehmen bereits mit robotergestützter Munitionsbergung befassen, zeigte Eyk-Uwe Pap, Geschäftsführer der Rostocker Firma Baltic Taucherei- und Bergungsbetrieb, auf. Er plädierte dafür, „bereits vorhandene Technik aus der Offshore-Industrie in die Pilotierung einzubringen“ und schlug vor, „eine kompetente Fachgruppe zu bilden, um Erkenntnisse und Wissen zu bündeln und das weitere Vorgehen abzustimmen“.

Ähnlich blickte Teilnehmer und Sales-Manager Carsten-S. Wibel von der Werft Abeking & Rasmussen in Lemwerder auf die Fachveranstaltung „Munition im Meer“. Diese sei ein wichtiger Schritt und eine Gelegenheit, „um potenzielle Partner zu treffen“. Es gebe in den Unternehmen viel spezielles Know-how, das genutzt werden kann.