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23. Juli 2021

Fünf Fragen an ... Jann Wendt

Das Kieler Unternehmen north.io GmbH ist eine treibende Kraft beim Thema Munitionsauffindung und -räumung im Meer und einer der Veranstalter der ersten Kiel Munition Clearance Week vom 6. bis 10. September. Jann Wendt, Gründer und Geschäftsführer der north.io, verrät im Gespräch unter anderem welchen Beitrag Big Data und Künstliche Intelligenz für die Beseitigung maritimer Altlasten leisten können.

MCN: Herr Wendt, in Nord- und Ostsee liegen große Mengen alter Munition. Welche Ausmaße hat das Problem und welche konkreten Gefahren gehen von diesen Altlasten aus?

Wendt: Wir schätzen, dass allein vor den deutschen Küsten in Nord- und Ostsee noch rund 1,6 Millionen Tonnen Altmunition liegen. Diese Altlasten stammen zum größten Teil aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs. Wir reden hier beispielsweise von rostenden Granaten oder korrodierenden Ankertauminen. Teilweise liegt auch TNT offen auf dem Meeresgrund. Dieser Sprengstoff ist dann als weißer Klumpen zu erkennen. Diese Altlasten müssten dringend geräumt werden, denn wir finden die krebserregenden Umbauprodukte des Sprengstoffs mittlerweile in Muscheln und Fischen. Irgendwann landen diese toxischen Substanzen dann auf unseren Tellern. Das Risiko, dass Altmunition noch explodiert, ist dagegen eher als gering einzuschätzen.

MCN: Ihr Unternehmen, die Kieler north.io GmbH, hat nun eine spezielle Software entwickelt, die entscheidend dazu beitragen soll, Altmunition am Meeresboden aufzuspüren. Welchen Beitrag können Sie damit leisten?

Wendt: Bevor ich Altlasten beseitigen kann, muss ich erst einmal wissen, wo ich diese finde. Die entsprechende Kartierung der betroffenen Seegebiete ist jedoch sehr aufwändig. Hier setzen wir an. Wir nutzen Big-Data-Technologie und Künstliche Intelligenz, um damit historische Dokumente und aktuelle Sensordaten zu durchforsten und zu verknüpfen. Da geht es beispielsweise um Aufzeichnungen über große Seeschlachten und Meldungen über gesunkene oder vermisste Schiffe und Boote. Das ist eine gewaltige Aufgabe. Allein im Freiburger Militärarchiv warten rund 50 Kilometer Akten auf ihre Auswertung. Ohne KI wäre eine gezielte Auswertung dieser Aktenbestände kaum möglich. Eine der Stärken unserer Software ist dabei, dass diese sogar handschriftliche Dokumente nach Schlagworten durchsuchen und die gefundenen Informationen anschließend sinnvoll verknüpfen kann.

MCN: Wie lange wird es dauern, bis die Altlasten in Nord- und Ostsee geborgen werden können?

Wendt: Wir reden da schon über längere Zeiträume. Allein die vollständige Kartierung aller Munitionsobjekte dürfte noch mindestens 30 Jahre dauern. Die dazu parallel verlaufende Räumung an sich ist dann noch einmal ein großer Kraftakt, auch finanziell. Damit diese dann klappt, müssen wir noch viele Stakeholder ins Boot holen.

MCN: Die erste Kiel Munition Clearance Week, die vom 6. bis 10. September als „hybride“ Veranstaltung mit Teilnehmer*innen vor Ort und Übertragungen im Internet stattfindet, soll dazu beitragen. Was erhoffen Sie als einer der Veranstalter sich von dieser?

Wendt: Wir sind sehr zuversichtlich, dass es gelingen wird, in Kiel schon einige ganz konkrete Lösungswege aufzuzeigen. Wir rechnen mit bis zu 300 Teilnehmern aus 17 Ländern, und was uns sehr optimistisch stimmt ist, dass sehr viele unterschiedliche Stakeholder ihr Interesse angemeldet haben. Ministerien und EU-Behörden, private Unternehmen, Forschungseinrichtungen, die Marine und andere mehr werden einen Beitrag leisten. Das zeigt uns, dass das Problem erkannt ist. Und auch viele Technologien – ich denke etwa an Roboter, die Taucher ersetzen könnten – stehen bereit. Sie müssten nur noch skaliert werden. Damit dies geschieht, müssten aber zunächst die finanziellen Zusagen stehen. Da ist der Staat gefragt, denn das können private Unternehmen nicht allein leisten. Auch an dieser Stelle erwarten wir von der Kiel Munition Clearance Week Impulse.

MCN: Was erhoffen Sie sich in diesem Kontext von Ihrer Mitgliedschaft im MaritimenCluster Norddeutschland?

Wendt: Unsere Mitgliedschaft im Maritimen Cluster Norddeutschland öffnet uns vor allem Türen: Hier treffen wir spannende Partner, die für uns relevant sein könnten, und denen wir sonst vielleicht nicht begegnet wären. Diese Vernetzung und dieser Austausch sind für uns sehr wertvoll.

Über Jann Wendt

Jann Wendt (34) ist Geschäftsführer der im Kieler Wissenschaftspark ansässigen north.io GmbH, die er 2010 auch gegründet hat. An der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel schloss der gebürtige Husumer 2014 ein Studium der Umweltgeographie und des Umweltmanagements als Master of Science ab. Mit der TrueOcean GmbH (2019) und der NatureConnect GmbH (2020) gründete Wendt zwei weitere Unternehmen an der Schnittstelle von Umweltschutz und Technologie.