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25. April 2018

Fünf Fragen an ... Eberhard Sauter

Wie kommt die Polar- und Meeresforschung in die maritime Wirtschaft? Und was können Tiefsee- und Raumfahrtforschung voneinander lernen? Darüber hat das MCN mit Eberhard Sauter, Leiter der Stabsstelle Technologietransfer am Alfred-Wegener-Institut (AWI), Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung, gesprochen.

MCN: Was macht das Alfred-Wegener-Institut?

Sauter: Das Alfred-Wegener-Institut ist ein Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung. In unserer Forschungsarbeit wenden wir uns überwiegend den Polarregionen zu, sowohl der Antarktis als auch der Arktis. Durch unsere beiden Inselstandorte auf Helgoland und Sylt haben wir aber auch Kompetenzen in der Küstenforschung, die wir dann teils wieder auf die Polarregionen übertragen.

Das AWI betreibt überwiegend naturwissenschaftliche Forschung und diese sehr multidisziplinär: von der Biologie aller möglichen Meereszonen bis zur Geologie und eben Eis-, Klimaforschung und Ozeanografie. Dagegen betreiben wir wenig Engineering. Wir sind sozusagen Kunden der maritimen Wirtschaft: Wir beschaffen uns Sensorik, lassen Schiffe warten und nehmen verschiedene andere Dienstleistungen in Anspruch. Was wir nicht kaufen können, entwickeln wir selbst. Dafür haben wir Ingenieure und einiges an Erfindergeist im AWI. Unsere Transferstelle ist dafür zuständig, diese innovativen Ansätze in die maritime Wirtschaft zu überführen.

MCN: Welche Rolle spielt die Polar- und Meeresforschung für die maritime Branche?

Sauter: Dem AWI geht es sehr stark darum, dass Nutzung und Schutz von marinen und polaren Ökosystemen im Gleichgewicht sind. Als Klimaforschungsinstitut tragen wir zum Beispiel zum Weltklimabericht mit Daten über den Rückgang des arktischen Meereises oder die Schmelze von Eisschilden und Gletschern bei. Diese Informationen sind natürlich auch relevant für Wirtschaftsunternehmen, die in der Arktis operieren wollen – zum Beispiel in Bezug auf Fischerei, mineralische und fossile Ressourcen, Tourismus und Schifffahrt, die die nördlichen Seewege nutzen möchten. Für die Unternehmen aus diesen Branchen ist es wichtig, die physikalischen, aber auch die ökologischen Randbedingungen und Risiken aus den Ergebnissen aktueller Forschung ableiten zu können.

MCN: Sie waren unter anderem an der Entwicklung von meerestechnischen Geräten beteiligt. Für die Erprobung vor Ort waren Sie auf zahlreichen Expeditionen unterwegs. Welche ist Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben und warum?

Sauter: Das AWI beschäftigte sich zu dieser Zeit unter anderem mit Methanaustritten am Meeresboden. Methan ist ein Klimagas. Es wirkt in der Erdatmosphäre zwischen 20 bis 60 Mal stärker als Kohlendioxid, glücklicherweise kommt es allerdings in deutlich geringeren Konzentrationen vor. Trotzdem ist es wichtig zu erheben, welche Methanquellen potentiell zur Klimaerwärmung beitragen, damit Modelle und Prognosen noch weiter verbessert werden können.

Es gibt mehrere tausend Schlammvulkane am Meeresboden, an denen Methan austritt. Zum Beispiel in der Nähe des Barentseeabhangs zwischen Barentsee und Norwegensee. 2003 war ich dort mit der „Polarstern“ und mit dem Tauchroboter Victor 6000 auf einer Expedition. Mit Kameras und Probeaufnahmegeräten wollten wir Gasaustritte nachvollziehen, die wir ein Jahr zuvor bereits akustisch mit Echoloten vom Schiff aus erfasst hatten. Das war eine anstrengende Fahrt, weil wir wenig Transitstrecke hatten und meistens „auf Station“ waren. Mit kabelgeführten Tauchrobotern kann man tagelang arbeiten. Die längsten Tauchgänge dauerten etwa 72 Stunden.

Bis zu dieser Expedition wusste man nicht, welchen Anteil die Methanaustritte am Meeresboden haben und – was besonders spannend war – wie viel von dem Methangas am Ende in die Atmosphäre gelangt, weil sich dazwischen ganz viel Biologie abspielen kann. Bakterien auf dem Meeresboden beispielsweise sind unheimlich gut darin, das Methan quasi biologisch herauszufiltern. Die Ergebnisse dieser Expedition wurden in renommierten wissenschaftlichen Zeitschriften publiziert und recht häufig zitiert.

MCN: Stichwort Technologietransfer: Wie und auf welchem Wege kommt die Forschung des AWI in die maritime Wirtschaft?

Sauter: In unseren Arbeitsgruppen kommen dann und wann Erfindungen durch unsere Kollegen zustande. Wir von der Technologietransferstelle beraten dann unter anderem zum richtigen Patentierungs- und Publikationszeitpunkt. Nach der Patentierung einer Erfindung kann sie zum Beispiel an Unternehmen auslizensiert werden. Unsere Kollegen haben beispielsweise ein hochgenaues Salzgehalt-Messgerät entwickelt, das mit einem Unternehmen der maritimen Mess- und Regeltechnikbranche umgesetzt wurde und auch heute noch auf dem Markt ist.

Aber Erfindungen sind nicht immer sofort marktreif, vor allem, wenn Sie aus der Grundlagenforschung heraus entstehen. Dann muss zunächst geprüft werden, ob die neue Technologie oder das neue Verfahren auch so funktioniert, wie es gedacht ist. Wir haben zum Beispiel ein mikrobielles Verfahren entwickelt, mit dem Ölreste im eisbedeckten Ozean abgebaut werden können. Gerade sind wir dabei, das Verfahren mit internationalen Partnern zu validieren und anschließend gilt es, das Verfahren in einen industriellen Maßstab zu bringen.

Kooperationen mit Unternehmen und Auftragsforschung sind weitere Pfade des Technologietransfers. Im Bereich der Auftragsforschung sind wir insbesondere im Bereich marine Bionik unterwegs. Diese Erkenntnisse aus der Planktonforschung lassen sich in alle möglichen Branchen, zum Beispiel in den Bereichen Leichtbau und Schwingungsdämpfung, übertragen. Dort machen wir erfolgreiche Industrieprojekte.

Das spannendste aber auch schwierigste Feld des Technologietransfers ist die Gründung von Unternehmen aus dem Institut heraus. Damit gehen die komplette Expertise und Kompetenz in den Markt. Wie Sie sich vorstellen können, liegt es nicht jedem Wissenschaftler, eine Firma aufzubauen und zu führen. Zudem brauchen wir nicht nur eine gute Technologie als Alleinstellungsmerkmal, sondern auch einen Markt, der das aufnehmen kann und möglichst groß genug ist. Und wir brauchen ein Gründerteam, das in der Lage ist, sich im entsprechenden Markt durchzusetzen.

Gemeinsam mit Weltraumforschern hat die Helmholtz-Allianz ROBEX einen autonomen Unterwasserroboter für Tiefsee und Weltraum entwickelt. Wie kam die branchenübergreifende Zusammenarbeit zustande und welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht?

Sauter: Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt ist wie das AWI Teil der Helmholtz-Gemeinschaft deutscher Forschungszentren. Von Zeit zu Zeit lobt Helmholtz sogenannte Helmholtz-Allianzen aus, große Projekte, die über mehrere Jahre laufen und relativ gut finanziert werden können. Ziel dieser Allianzen ist es, strategisch wichtige Forschungsthemen und Technologien voranzubringen. Wir haben einen Antrag zur Tiefseerobotik geschrieben und das DLR zur Weltraumrobotik. Weil es nicht genug Geld für zwei Allianzen gab, wurden beide miteinander „verheiratet“.

Nun kann man sich vorstellen, dass es eine ganze Menge Unterschiede zwischen Tiefsee und Weltall gibt. Wenn man in 6.000 Metern Wassertiefe arbeitet, hat man einen gigantischen Außendruck von 600 Bar, während im Weltraum Vakuum herrscht. Unterwasser gibt es kaum die Möglichkeit, über elektromagnetische Wellen zu kommunizieren. Im Weltraum hingegen kann durch das Vakuum mit Funkfrequenzen fast beliebig weit gesendet werden. Zudem gibt es große Temperaturunterschiede im Meer beziehungsweise im Weltall.

Aber glücklicherweise gibt es auch Gemeinsamkeiten: dazu gehört unter anderem das hohe Interesse an autonomen Systemen und Robotik. Es war sehr interessant zu erfahren, wie die Herangehensweisen der Kollegen aus dem anderen Segment sind und welche Erfahrungen sie gemacht haben. Weltraummissionen sind nicht nur teurer, sie sind auch in ihrer zeitlichen Planung sehr viel langfristiger angelegt. Die Weltraumforscher waren teilweise überrascht, wie konkret auf den Punkt unsere Systeme entwickelt und dann auch eigesetzt werden können.

Wir haben einige der robotischen Systeme unserer Raumfahrtkollegen für die Tiefsee adaptiert und dort getestet. Es gibt zum Beispiel kleine Roboter, die sich mit Raupenantrieb fortbewegen, um Dinge zu erkunden. Die kann man am Meeresboden einsetzen und zum Beispiel auch auf dem Mars.

Über Eberhard Sauter

Seit 2008 leitet Eberhard Sauter die Stabsstelle für Technologietransfer am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Bremerhaven. Mit einem Hintergrund in mariner Geochemie sowie multidisziplinärer Tiefseeforschung gelangte er über eigene Beiträge zur Entwicklung meerestechnischer Messsysteme zum Wissens- und Technologietransfer. Heute arbeitet Eberhard Sauter an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Wirtschaft. Dabei katalysiert er die Markteinführung innovativer, umweltfreundlicher Technologien und Dienstleistungen. Dabei liegt ihm die Balance zwischen Nutzung und Schutz mariner und polarer Systeme am Herzen. Eberhard Sauter ist Honorarprofessor für Meerestechnik an der Hochschule Bremerhaven und Mitglied im Vorstand der Gesellschaft für Maritime Technik.

www.awi.de