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10. Februar 2023

Fünf Fragen an ... Carsten Hilgenfeld

Dr.-Ing. Carsten Hilgenfeld ist Leiter Forschung und Entwicklung beim Rostocker Unternehmen FleetMon. Im Interview erläutert er die Bedeutung von Schiffspositionsdaten und warum sein Unternehmen eng mit der Schiff-Spotter-Szene kooperiert.
 

MCN: Herr Hilgenfeld, Ihr Unternehmen sammelt weltweit AIS-Schiffsdaten in Echtzeit und bereitet diese für seine Kunden auf. Lassen sich aus Ihren Daten auch allgemeine Schifffahrtstrends ablesen?

Hilgenfeld: Ja, absolut. FleetMon verarbeitet in seinen vier Rechenzentren täglich mehr als 550 Millionen Positionsnachrichten. Das ist eine gewaltige Menge. Und natürlich können wir aus diesem globalen Lagebild auch Trends ablesen. Als das Containerschiff „Ever Given“ 2021 sechs Tage lang den Suezkanal blockierte, konnten wir den sich dadurch bildenden Stau sehr gut sehen. Auch die Verstopfung zahlreicher Häfen in den vergangenen Jahren wurde sehr deutlich abgebildet. Manchmal erkennen wir auch unmittelbar die Folgen politischer Veränderungen. Als beispielsweise vor einigen Jahren der iranische Ölmarkt wieder geöffnet wurde und das Land billiges Öl auf den Markt warf, um Devisen zu beschaffen, konnten wir beobachten, wie in der Folge ein Teil der Welttankerflotte seinen Kurs änderte und statt nach Primorsk oder Houston Richtung Iran fuhr. Das ist schon faszinierend. Und man sieht: In der Schifffahrt ist immer etwas los!

MCN: An wen richten Sie sich mit Ihrem Angebot? Reeder wissen doch vermutlich, wo ihre eigenen Schiffe gerade sind.

Hilgenfeld: Richtig. Unser Angebot richtet sich daher nicht an die Schiffsbetreiber, sondern primär an die Kunden der Schifffahrt, also beispielsweise Industrieunternehmen, die ihre Waren über die Weltmeere transportieren lassen. Die wollen natürlich wissen, wo ihre Ladung sich gerade befindet und vor allem, wann das Schiff damit im Bestimmungshafen ankommt. Von den Reedereien bekommen sie solche Tracking-Informationen nicht unbedingt, zumal in der Schifffahrt vielfach noch immer mit Excel-Dateien gearbeitet wird. Für die Kunden sind diese Informationen aber oft essenziell wichtig. Ein gutes Beispiel dafür ist der Transport von seltenen Erden für die Batterieproduktion. Die kommen nur in wenigen Regionen vor, beispielsweise in der chilenischen Atacama-Wüste. Wenn ein Unternehmen wie Tesla sich nun eine bestimmt Menge Lithiumerz gesichert hat, will es natürlich wissen, wo die Ladung sich befindet, wann sie ankommt und ob Störungen zu erwarten sind. Diese Informationen liefern wir. Ein anderes Beispiel sind Windparks auf See. Für die Bauplanung und später für die Betriebsüberwachung ist es sehr wichtig, zu sehen, was an Verkehr da durchläuft. Unsere Daten bilden das präzise ab.

MCN: Auf Ihrer Webseite bildet FleetMon nicht nur AIS-Schiffspositionen ab, sondern veröffentlicht auch maritime Nachrichten. Welchen zusätzlichen Nutzen bringt dieses Nachrichtenportal für Ihre Kunden?

Hilgenfeld: Diese Nachrichten sind eine sehr sinn- und wertvolle Ergänzung zu den Schiffsmeldungen. Wir haben dafür eigens ein Netzwerk von qualifizierten Schreibern aufgebaut, die aus der ganzen maritimen Welt Nachrichten zusammentragen, die dann von uns editiert und auf der Webseite veröffentlicht werden. Mittlerweile sind wir bei rund 10.000 Meldungen angekommen. Für unsere Kunden sind diese Nachrichten sehr nützlich: Sie können sich auf unserer Seite einen Newsfeed speziell für das Schiff einrichten, das ihre Ladung transportiert, und für den Hafen, den dieses anläuft. Sobald etwas vorfällt, was für die Pünktlichkeit oder Sicherheit ihrer Ladung relevant ist, erhalten Sie automatisch eine Nachricht und können dann reagieren.

MCN: Auf der FleetMon-Website hat auch die Ship-Spotter-Community ihren Bereich. Ist das mehr als eine Spielerei?

Hilgenfeld: Diese Community war bei uns von der ersten Minute mit an Bord. Tatsächlich war sie sogar eine Art Geburtshelfer des Unternehmens. Die JAKOTA Design Group – die Muttergesellschaft, aus der heraus FleetMon 2007 entstand – baute damals Webseiten für maritime Kunden. Dort gab es jemanden, der Interesse an Schiffsfotografie hatte. So entstand dann die Idee, die Fotos mit dem AIS-Signal des jeweiligen Schiffs zu kombinieren und das auf einer Webseite abzubilden. FleetMon war geboren! Heute haben wir eine sehr große Ship-Spotter-Community, die wir auch aktiv pflegen. Wir haben allein mehr 250 Spotter, die in den vergangenen 100 Tagen jeweils mehr als 100 Fotos hochgeladen haben. Das verdeutlicht die Dimension. Unsere Datenbank wird bald die Marke einer Million Schiffsbildern knacken. Dabei legen wir sehr großen Wert auf eine hohe, gleichbleibende Qualität der Bilder. Es muss beispielsweise immer entweder das Heck mit der IMO-Nummer oder der Bug mit dem Schiffsnamen scharf zu erkennen und der Horizont gerade sein. Die hohe Qualität und Standardisierung ist übrigens ideal, um Künstliche Intelligenz für die Schiffserkennung anzulernen. Von diesem Geschäftsfeld versprechen wir uns in Zukunft einiges.

MCN: Was schätzen Sie am Maritimen Cluster Norddeutschland, dessen Mitglied FleetMon ist?

Hilgenfeld: In erster Linie die hohe Kompetenz und Professionalität der hauptamtlich geführten Geschäftsstellen und die Zusammenarbeit über Ländergrenzen hinweg. Etwas Vergleichbares gab es vor der Gründung des MCN nicht. Ich kann mich heute mit einem konkreten Anliegen an das MCN wenden und erhalte innerhalb kürzester Zeit eine präzise Antwort. Wir haben über das MCN beispielsweise unseren neuen Richtantennenlieferanten mit Sitz in Deutschland gefunden. Ganz hervorragend ist auch die zweitägige maritime Basisschulung, die das MCN anbietet. Wir haben da in der Vergangenheit neue Mitarbeiter hingeschickt, die fachlich hervorragend, aber mit der maritimen Branche noch wenig vertraut waren. Die haben in den zwei Tagen sehr viel dazugelernt. Für solche Angebote geben wir dann auch gerne Geld aus.

 

Über Carsten Hilgenfeld

Dr.-Ing. Carsten Hilgenfeld ist seit 2015 Head of Research and Development beim Rostocker Unternehmen FleetMon. Zuvor forschte und lehrte er an der Hochschule Wismar. Carsten Hilgenfeld ist, neben anderen Ehrenämtern, Mitglied des Beirats sowie der Fachgruppenleitung Maritime Sicherheit des Maritimen Cluster Norddeutschland e.V.